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Kulturen politischer Entscheidung in der modernen Demokratie

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„The Sound of Democracy“?

Eine Tongeschichte der Weimarer Demokratie in vergleichender Perspektive

Teilprojekt Ida Richter

Dass sound, im Sinne von Ton oder Klang, und Politik zusammengehören, scheint auf den ersten Blick offensichtlich. Schon bei Aristoteles ist der Akt des Sprechens ein zentrales Merkmal des Politischen und scheint es insbesondere auch für demokratische Politik zu sein. Abgeordnete handeln in Parlamenten mittels Rede und Gegenrede politische Entscheidungen aus, aktive politische Partizipation wird oft als das Erheben der eigenen Stimme im öffentlichen Raum verstanden, Bürgerinnen und Bürger geben bei Wahlen ihre sogenannte Stimme ab.

Das Projekt verbindet Ansätze der Sinnesgeschichte mit der Geschichte der Demokratie und fragt danach, inwiefern Ton und Hören über die sprachliche Artikulation politischer Positionen hinausgehend eine zentrale Rolle bei der Vermittlung von Politik, in politischen Praktiken und damit in Entscheidungsprozessen moderner Demokratien spielen. Insbesondere wird die Bedeutung von sound in konflikthaften Aushandlungsprozessen innerhalb demokratischer Gesellschaften untersucht. Auf diese Weise eröffnet das Projekt neue Perspektiven, die gerade in Zeiten relevant sind, in der die Demokratie weniger selbstverständlich wird.

Das Projekt geht davon aus, dass es Merkmal von demokratischer Kultur ist, dass sich verschiedene politische Positionen Gehör verschaffen und sowohl in Parlamenten, medial als auch auf der Straße – mitunter lautstark – vertreten werden können. Gleichzeitig zeichnet es „demokratische Klangräume“ aus, so eine Hypothese des Projekts, dass dies möglich ist, ohne dass eine „Stimme“ die anderen übertönt – und dass sich alle Akteure dieser Vielstimmigkeit verschreiben müssen, damit Demokratie resilient sein kann.

Nicht nur, weil dies in der Weimarer Republik letztendlich gescheitert ist, bietet die Zwischenkriegszeit sich insbesondere zur Analyse an. In diese Zeit fiel auch die Popularisierung technischer Möglichkeiten, Ton aufzunehmen, zu reproduzieren, zu verstärken und zu senden: 1923 wurde der Rundfunk eingeführt, Tonaufnahme- und Abspieltechniken wurden breiter zugänglich, Lautsprechertechnik hielt Einzug in die Politik auf der Straße, und im Kino lösten der Tonfilm und seine Dialoge den Stummfilm und seine Begleitorchester ab. Vor dem Hintergrund dieser technischen Neuerungen wurde sound in Debatten über demokratische Prozesse reflektiert, wie zum Beispiel die Frage, ob Reichstagsdebatten durch den Rundfunk übertragen werden sollten – nachvollziehbar sowohl in auditiven als auch in schriftlichen Quellen. Zudem lassen sich Konflikte um die Aneignung öffentlicher Klangräume rekonstruieren, die zugleich Ausdruck von Auseinandersetzungen um die Demokratie, ihre Transparenz und damit ihre Legitimität sind. Im Fokus stehen dabei insbesondere Entwicklungen in der Weimarer Republik, die vergleichend mit Prozessen in Großbritannien und Frankreich betrachtet werden. Diese werden mit den Anfängen des Nationalsozialismus und dessen Nutzung der Wirkung von sound zur Propaganda gegengelesen, was gerade im Hinblick darauf interessant ist, dass Großbritannien und Frankreich Demokratien blieben und sich somit die Unterschiede im Umgang mit Klang besonders gut nachzeichnen lassen.