Kulturen politischer Entscheidung in der modernen Demokratie

Ob in der Migrationspolitik, beim Klimaschutz oder während der Corona-Pandemie: Wie, wann, wo und warum in einer Demokratie bestimmte Entscheidungen getroffen werden, ist nicht immer auf Anhieb zu verstehen. Denn politische Entscheidungen sind das Ergebnis komplexer Aushandlungen, bei denen wissenschaftliche Expertise, Emotionen, Umfragen, rechtliche Erwägungen und wirtschaftliche Interessen aufeinandertreffen. Doch werden diese Argumente zu verschiedenen Zeiten, von verschiedenen Akteuren und in verschiedenen Kontexten völlig unterschiedlich gewichtet. So sehr Entscheidungen im Nachhinein als rational und unausweichlich dargestellt werden, so wenig ist ihre Entstehung linear und ihr Ausgang vorbestimmt.
Das ‚Davor‘ politischer Entscheidungen
„Kulturen des politischen Entscheidens in der modernen Demokratie“ heißt das Forschungsprojekt, das seit 2021 an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften angesiedelt ist. Während in der Geschichts- und Politikwissenschaft politische Entscheidungen in der Regel als richtungsweisende Meilensteine verstanden werden, deren Umsetzung und Folgen es zu beschreiben und zu erforschen gilt, hat es sich das Forschungsprojekt zum Ziel gesetzt, das Davor statt das Danach politischer Entscheidungen in den Blick zu nehmen und deren rechtliche, politisch-soziale und kulturelle Grundlagen zu untersuchen.
Interdisziplinär, vielfältig und gegenwartsnah
Das Projekt vereint rechtswissenschaftliche und zeithistorische Perspektiven. Die vier Teilprojekte reichen vom Sound der Demokratie über das Moralisieren als politische Rhetorik und die völkerrechtlichen Grenzen wirtschaftlicher Druckmittel zwischen Staaten bis hin zu Fragen der digitalen Wahlbeeinflussung. Dabei geraten sehr unterschiedliche politische Konstellationen, Länder und Zeiträume in den Blick – von der Weimarer Republik bis ins digitale Zeitalter, von Brasilien bis zur internationalen Staatengemeinschaft. Im Zentrum stehen Fragen nach der Legitimität politischer Entscheidungen, nach ihrer sprachlichen, juristischen und kulturellen Rahmung, nach Repräsentation und Geschlecht, Komplexitätssteigerung, der Gewaltenteilung und der politischen Sprache.
Das Forschungsprojekt wird von einem Ausschuss geleitet. Ausschussvorsitzende und Projektleiter sind der Jurist Christian Walter (LMU München) und der Zeithistoriker Andreas Wirsching (LMU München / Institut für Zeitgeschichte). Ein interdisziplinärer Beirat mit sechs Mitgliedern begleitet und berät den Ausschuss und die Forschenden.
Teilprojekte und Nachwuchsförderung
Das Projekt „Kulturen politischer Entscheidung in der modernen Demokratie“ ist derzeit in folgende Teilprojekte gegliedert:
- ein Vorhaben zu „Ton und Demokratie" (Ida Richter)
- ein Vorhaben zu „Moralisierung als politische Rhetorik in der bundesdeutschen Gesundheitspolitik des ausgehenden 20. Jahrhunderts“ (Judith Anouschka Grosch)
- ein Vorhaben zu „Grenzen zulässiger Beeinflussung von Wahlentscheidungen im digitalen Zeitalter“ (Laura Jung)
- ein Vorhaben zu „Völkerrechtlichen Grenzen der Ausübung wirtschaftlichen Drucks zwischen Staaten“ (Vincent Holzhauer)
Bereits abgeschlossen wurden:
- ein Vorhaben zu „Generationenbeziehungen im Horizont parlamentarisch-demokratischer Entscheidungen in Großbritannien und der Bundesrepublik Deutschland (ca. 1950–1990)“ (Daniel Stienen)
- ein Vorhaben zu „Wechselwirkung zwischen verfassungsgerichtlichen Entscheidungen und politischen Entscheidungsfindungsprozessen in der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich“ (Philipp Scheurer)
Die Teilprojekte werden jeweils von einer Wissenschaftlerin oder einem Wissenschaftler bearbeitet und schließlich als Monografien veröffentlicht, die sich komplementär aufeinander beziehen. Das Forschungsprojekt fördert gezielt den wissenschaftlichen Nachwuchs, die Teilprojekte sind daher als Projekte für jeweils zwei Postdoktorandinnen und -doktoranden sowie derzeit zwei Doktorandinnen und Doktoranden, jeweils aus der Rechts- und aus der Geschichtswissenschaft, ausgelegt. Eine enge Kooperation mit verschiedenen Universitäten ist ebenso geplant wie regelmäßige Workshops, eine Abschlussveranstaltung und ein Abschlussband, der die Teilprojekte zusammenführt.
Förderung
Das Forschungsprojekt „Kulturen politischer Entscheidung in der modernen Demokratie“ wird als Vorhaben der Bayerischen Akademie der Wissenschaften vom Freistaat Bayern finanziert.